ein schönes Fallbeispiel zu unserer Arbeit...

Veröffentlicht am 19. Oktober 2018 um 20:49

Ein Kind mit autistischer Wahrnehmung wird immer „schlimmer" in der Schule und Situationen eskalieren immer wieder. In persönlichen Gesprächen stellt sich dann heraus, dass der Klassenlehrer (ist auch Direktor) Mobbing zulässt und teilweise auch daran teilnimmt. Das Kind wird als „komisch" und „blöd" wahrgenommen. Ein Störfaktor in der Klasse...
Laut Klassenlehrer wird nie was aus dem Kind werden und es soll in eine Sonderschule...

Letztlich war die Volksschulzeit voller „Mißverständnisse": Der Lehrer hat nie wirklich hingeschaut und das Kind nie wirklich wahrgenommen. Das Kind hat ihn gestört, weil es anders war und seiner vorgefertigten Meinung nicht entsprochen hat. Und das Kind hat – wie die ganze Familie – sehr darunter gelitten.
Unser Kurzkommentar dazu: "Probleme entstehen so gut wie nie durch das „Anderssein", sondern immer durch das Ignorieren und nicht wahrhaben wollen von Menschen die anders denken, fühlen, aussehen... also aus einem Mangel an Respekt und einem Mangel an der eigenen Flexibilität..."

Die entnervten Eltern suchten also eine neue Schule und ausgerechnet ein Gymnasium hat das Kind dann gerne aufgenommen. Die Direktorin war gerne bereit dazu und die Lehrerschaft stand großteils hinter der Entscheidung! Eine war gute Grundlage! Nicht „alles wissen", sondern „gern dazulernen" war der Vorsatz...

Unser Kurzkommentar: "Lösungsansatz: Echtes Hinschauen, sich gegenseitig Wahrnehmen, Umdenken, sich aufeinander einstellen und auch mal neue Wege gehen…"

Eine ganz tolle Klassenvorständin hat das Kind letztlich ins Herz geschlossen, und eine erfahrene Schulassistentin wurde hinzugezogen. Um das finanzierbar zu machen, mussten wir eine Schlichtung anstreben und 2 mal nach Wien fahren, um das Bildungsministerium zu überzeugen, dass die bestehenden Richtlinien für Schulassistenz an Bundesschulen diskriminierend und nicht zielführend sind. Da ist den Eltern und der Schule in Zusammenarbeit mit uns sehr viel gelungen!

Kurzkommentar dazu: Durch's Reden kommen die Leut zusammen. Lösungen werden immer von beteiligten Menschen ermöglicht. Es gibt viele positive Leut, die nur spüren müssen, dass ihre Einstellungen und Haltungen unterstützt werden. Danke dem Elternverein.

Am Ende erhielt das Kind Assistenz für die Schulzeit UND für de Schulweg! Und das erstmals in Österreich trotz nicht „ausreichender Pflegestufe". Da haben die Eltern gewonnen und wir durften sie dabei unterstützen. Und die Schuldirektorin war wirklich stolz, was uns da in guter Zusammenarbeit aller gelungen ist. Es war schön zu lesen, dass sich ausgerechnet eine Direktorin eines Gymnasiums so stark für ein Schulkind mit einer anderen Denk- und Wahrnehmungsweise einsetzt und auf diese Art auch für ihre gute Schule kämpft! Und einige Lehrpersonen (vor allem die Klassenvorständin) haben super mitgewirkt!
Solidarität und konkrete Unterstützung: Ja, wir fahren nach Wien (oder wohin es nötig ist) und verhandeln und kämpfen auch in Ministerien... und wir machen bei Gemeinden, bei Bezirkshauptmannschaften, bei Landes- und Bundesbehörden auf Diskriminierungen aufmerksam und versuchen, diese zu bekämpfen!Kurzkommentar dazu: 

Als Abrechnungsprobleme mit dem für die Assistenz zuständigen Dienstleister auftraten, hat sich die Stiefmutter erfolgreich um einen neuen Abrechnungspartner bemüht – und einen gefunden, der auch vom Ministerium anerkannt wurde.
Kurzkommentar dazu: Eltern sind stark! Mit Solidarität aber noch viel stärker!
Dass Eltern von Kindern mit Behinderungen daheim extrem viel leisten (müssen und wollen) ist klar.
Wenn Eltern die Bürokratie verstehen und die Ansprechpartner kennen, gelingt es oft auch die richtigen Leute anzusprechen, zu überzeugen und positive Lösungen selbst zu finden. Niemand kann der Politik genauer sagen was es braucht, als Eltern und Betroffene selbst!

Und es kam noch besser: Die Klasse plante eine Sprachreise nach London und wollte niemanden daheim lassen. Also wurde auch das möglich gemacht! Das erste Kind ohne hohe Pflegestufe, das Assistenz für eine Auslandsreise erhalten hat... und es war letztlich eine tolle und unproblematische Zeit, auch wenn die Vorbereitungen mit Kampf, vielen Gesprächen und Überzeugungsarbeit zu tun hatten. Am Ende war alles gut.
Kurzkommentar dazu:  Über den Tellerrand schauen... Auch wenn diese Sprachreise nach den Tiroler Richtlinien zur Schulassistenz niemals möglich wäre, sie ist letztlich (mit viel Überzeugungsarbeit) gelungen. Auch weil Gymnasien dem Bund unterstehen. Es ist immer noch beschämend, dass bei fast allen Problemlösungen das Kindeswohl gegen politische und bürokratische Eigentümlichkeiten antreten muss.
Oft müssen wir mit genau denen „kämpfen und mühsam verhandeln, die eigentlich die Verbündeten unserer Kinder sein müssten und gerne auch sind...

Allerdings ist es leider bis heute so, dass die Eltern die Kosten für die Assistenz bei Klassenfahrten, Schulausflüge, Exkursionen, etc. selbst tragen müssen und damit zu mindest das Doppelte - zuzüglich der Gehaltskosten für die Assistenz - von dem bezahlen müssen, wie Eltern von Kindern ohne Assistenzbedarf.
Kurzkommentar dazu: Geld spielt leider immer eine Rolle...
Im Gegensatz zu SonderschulbesucherInnen sind Kinder und Jugendliche im „integrativen Unterricht" in vielen Belangen finanziell benachteiligt.
Für sehr viele Eltern ist das ein großes Problem - für viele Sonderschulen und Landessonderschulen ein Segen, der ihre Existenz sichert.
Das ist diskriminierend und gleichzeitig "systemerhaltend" und lenkend - und absolut nicht im Sinne der UN-Menschenrechtskonvention!

Das Kind – mittlerweile eine junge erwachsene Person – ist ganz lange schon ein voll akzeptiertes und gleichwertiges Mitglied der Klassengemeinschaft. Es ist respektiert und wahrgenommen. Samt den Denkunterschieden und trotz der unterschiedlichen sozialen Wahrnehmungsfähigkeiten ist vollkommen klar, dass Menschen zwar in ihrer Art unterschiedlich sind, aber alle einen passenden Platz in der Gemeinschaft haben müssen!
Die wichtigen Menschen!
Menschen, die über den Tellerrand hinausschauen, die Kinder mit Behinderungen in ihrer Eigen- und Andersartigkeit (was für ein blödes Wort) wahrnehmen und Unterschiede erkennen und wahrnehmen wollen, sind das Fundament einer guten Schule und einer guten Sozialpolitik.
Die ignorante und naive Denkweise der „Homogenisierung" funktioniert ja schon lange in keinem Lebensbereich mehr... Wir Eltern müssen da laut sein und auf die Unterschiedlichkeit der Kinder immer wieder hinweisen!

Die Prophezeiung, dass nur eine Sonderschule, oder gar keine Schule das Beste wäre, hat sich nicht bewahrheitet! Heuer ist das Jahr der Maturvorbereitung und anschließend (niemand zweifelt daran!) wird wohl ein Studium folgen... Und die Klassenvorständin bedauert heute schon, dass diese gemeinsame Zeit bald enden wird. Es sind für alle ganz wichtige und schöne Beziehungen entstanden, die man vielleicht nicht als „klassische Beziehungen" bezeichnen kann, aber die alle Beteiligten bereichert und verändert haben. Die Familie, die Lehrpersonen, die Mitschüler, uns von Integration Tirol und sogar auch die beteiligten Personen im Landesschulrat.
Aufrichtige Beziehungen sind wichtig - Vor 40 Jahren galten in Österreich Kinder mit Down-Syndrom noch als Schulunfähig. Bis ein paar Lehrpersonen konkrete Beziehungen zu diesen Kids entwickelt haben, die Kinder „erkannt" haben und vieles erleichtert haben, was den Kindern bisher verwehrt wurde - aus einem Vorurteil heraus.
Egal ob mit oder ohne Behinderung - Beziehung, Wohlwollen und Offenheit sind die Lebens- und Lerngrundlage unserer Kinder. Für ALLE Kinder!

Auch wenn die Geschichte anonymisiert ist, sie ist wahr und schön! Es musste viel erkämpft werden, aber es ist alles gelungen. Und der Jurist im Landesschulrat, der bei der ersten Schlichtung noch eher ablehnend und sehr zurückhaltend war, hat sehr spontan und gerne für das Maturajahr eine kleine, aber hilfreiche zusätzliche Unterstützung befürwortet... in diesem Fall wurde aus Skepsis wohlwollende Überzeugung.

Allerdings muss man dazusagen, dass die Bezirkshauptmannschaft, bzw. die Sozialabteilung bei jedem Problem ihr Unterstützungsangebot auf eine weitere Therapie beschränkt hat. Obwohl lange schon klar war, dass die betroffene Person lange schon weitere Therapien ablehnt, sich selbst als „therapieresistent" betrachtet und sich ganz andere Unterstützungen gewünscht hat. Auch der soziale Dienstleister hat sich bis zum letzten Jahr aus der gesamten eher zurückgehalten und die Unterstützung dem Helfer vor Ort überlassen. Beide – Dienstleister wie auch die Sozialabteilung - sind da an ihrer mangelnden Flexibilität immer wieder mal gescheitert.
Wenn irgendwelche Probleme mit Kindern mit Behinderungen auftauchen, wird immer noch viel zu oft auf eine Therapie verwiesen. Es lässt sich nicht jedes Kind an den Mainstream hin therapieren!
Für echte Teilhabe braucht es nicht immer nur Therapie, sondern vermehrt Angebote und Unterstützung zu einer wirklichen Teilhabe! Die UN-Menschenrechtskonvention lehnt das klinische Modell von Behinderung ebenso ab wie wir - und wir wünschen uns viel bessere Angebote zur respektvollen und wirklichen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für unsere Kinder mit Behinderungen!

Nach der Matura wird das Thema Abnabelung und eigenständige Lebensführung mit Gleichaltrigen ganz wichtig werden. Hier gibt es absolut kein Angebot. In „Berufsvorbereitungsprojekten" ist Platz für Sonderschulabgänger und ev. ehemalige „Integrationskinder" und sie sind auf eher körperliche Tätigkeiten ausgerichtet.
Die Familie aus unserem Fallbeispiel hat das große Glück, dass sie während der Pubertät trotz massiver Probleme nicht in eine Katastrophe geschlittert ist! Es hätte auch viel dramatischer ausgehen können! Die Anzeichen waren da und die einzigen "Antworten" waren Therapien. Das ist wenig und nicht bedarfsorientiert!
Eine Unterstützung am Weg in eine selbständige Lebensgestaltung ist derzeit kaum möglich, weil die "intelektuellen Leistungen" stimmen und Probleme bei der selbständigen Lebensgestaltung im neuen REHA-Gesetz (Teilhabegesetz) nicht flexibel genug gestaltet sind...
Unsere Erfahrungen in diesem konkreten Fall zeigen sehr klar, dass die Politik keine ausreichende Familienentlastung in kurzfristigen Krisen bereitstellen kann/will, sondern lieber  auf die Eskalation wartet und dann das Kind in eine Einrichtung aussondert... Das hat dieser Familie leider schon mehrfach geschadet, aber gemeinsam werden wir auch künftig wohl unkonventionelle und individuelle Lösungen erkämpfen müssen... Das tun wir als Verein sehr gerne - und wir hoffen, dass die Eltern und die wirklich betroffene Person das auch aushalten werden!