Beschwerden über grenzverletzendes Verhalten von Mitarbeitenden gegenüber Kindern in Behindertentransporten sind in der Beratungsstelle von Integration Tirol bereits mehrfach Thema gewesen. Berichte über besonders drastische Vorfälle, die schlussendlich zu Verurteilungen führen, finden manchmal auch den Weg in die Medien, siehe z. B. diesen Artikel vom Jänner 2022. Häufig arbeiten pädagogisch gänzlich unqualifizierte Personen für Fahrtendienstunternehmen. Neben fehlenden fachlichen Standards gibt es darüber hinaus meist keine effektiven Regelungen, wie mit Beschwerden umgegangen werden soll.
Die Kinder- und Jugendanwaltschaft in Wien hat nun gemeinsam mit mehreren Unternehmen und den zuständigen Behörden ein Rahmenkonzept für den Kinder- und Jugendschutz bei Fahrtendiensten in Wien erarbeitet. In intensiven Workshops einigten sich die Beteiligten auf ein allgemeines Schutzkonzept, anhand dessen die einzelnen Fahrtendienstunternehmen ihr jeweils eigenes Schutzkonzept erarbeiten können. Es besteht dafür zwar keine Verpflichtung, aber alle beteiligten Unternehmen signalisieren dazu ihre Bereitschaft. Das Rahmenkonzept beinhaltet die typischen Elemente eines Schutzkonzepts, wie etwa rechtliche Grundlagen, Begriffsdefinitionen, Informationen zu Risikoanalyse, präventiven Maßnahmen, dem Vorgehen im Verdachtsfall sowie zu Evaluation und Monitoring. Für alle Bereiche gibt es den Bedingungen bei Fahrtendiensten entsprechende Unterlagen, z. B. für die Risikoanalyse oder Informationsmaterialien für Kinder und Eltern. Die Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien hat dazu eine Presseaussendung mit näheren Informationen veröffentlicht.
Anmerkung aus inklusionspädagogischer Perspektive
So sehr diese Wiener Initiative zu begrüßen ist, darf die grundsätzliche Kritik an Sonderfahrtendiensten hier nicht übersehen werden. Fahrtendienste speziell für Kinder mit Behinderungen sind segregierende Maßnahmen, die oft erst den Besuch einer von der Heimatgemeinde weit entfernten Sonderschule ermöglichen. Teilweise werden behinderte Kinder auch quer durch eine Stadt zu Integrationsklassen befördert, weil die Nachbarschaftsschule nicht barrierefrei ist oder keine entsprechende inklusive Bildung anbietet. Auch das widerspricht dem Prinzip der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft.
Kinder mit Behinderungen verbringen oft mehr als zwei Stunden am Tag in Sammeltransporten – Zeit, die für ihre bestmögliche Entwicklung besser genutzt werden könnte. Zum Beispiel, indem die Kinder mit individueller Unterstützung den Schulweg zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewältigen erlernen. Ein Hinweis dazu für Tirol findet sich in der Stellungnahme zu inklusiver Bildung des Tiroler Monitoringausschusses aus dem Jahr 2015: „Der Monitoringausschuss empfiehlt, bevorzugt öffentliche Verkehrsmittel und Begleitung durch AssistentInnen für den Schulweg von behinderten Kindern und Jugendlichen zu benutzen. Im Rahmen wohnortnaher Integration/Inklusion sind Sonderfahrtendienste nicht mehr in Anspruch zu nehmen.“ (Seite 17)
Entsprechende Anmerkungen finden sich auch im Tiroler Aktionsplan zur Umsetzung der BRK.
Die Schulassistenz-Richtlinie in Tirol sieht grundsätzlich auch die Begleitung von Kindern mit Behinderungen auf ihrem Schulweg vor. Allerdings sind uns mehrere Fälle bekannt, in denen diese Maßnahme letztlich daran scheitert, dass die Kosten für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel der Assistentinnen nicht finanziert werden.