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Das Bordell kann eine Lösung sein – im Optimalfall aber nicht die einzige

Als Sexualbegleiterin für Menschen mit Beeinträchtigung bekomme ich immer wieder Anfragen aus Bundesländern, in denen ich nicht arbeiten darf, und das frustriert sowohl mich als auch die Menschen, die meine Dienstleistung in Anspruch nehmen wollen bzw. deren Eltern/Kinder/Betreuer*innen.

Denn oft kann man sexuelle Bedürfnisse nicht einfach ausschwitzen, manchmal funktioniert das mit dem Masturbieren nicht, und oft sehnen sich Menschen einfach nach Berührung und Zärtlichkeit abseits der pflegerischen Berührung oder dem Körperkontakt zu Eltern, Geschwistern oder guten Freund*innen. Und wenn man nicht gerade asexuell ist, wünscht sich fast jeder Mensch eine Beziehung, in der auch sexuelle/körperliche Lust gelebt werden kann.

Wie meine Erfahrungen zeigen, ist das unabhängig von der Art und vom Grad der Beeinträchtigung; es unterscheidet sich meist nur die Art, von wem ich kontaktiert werde und wie die sexuelle Begegnung am Ende stattfindet. Das ist auch abhängig von der sexuellen Entwicklung meiner Kunden.
Bei einem mit 30 Jahren verunfallten Mann, der danach querschnittgelähmt ist, läuft eine Begegnung im Normalfall anders ab als z.B. mit einem non-verbalen, kognitiv und körperlich mehrfachbehinderten jungen Mann, der die - für die meisten als selbstverständlich empfundenen - „Meilensteine" in der Entwicklung, von Doktorspielen über Händchenhalten bis Flirten in der Schikursdisko, vom ersten Liebeskummer zum ersten Küssen und zum gefürchteten und erhofften ersten Mal, nicht erleben konnte.

Beide haben gemein, dass sie körperliche Lust erfahren wollen, unabhängig davon, wie sich dieser Wunsch zeigt. Der 30 jährige ruft mich an und schildert mir seine Bedürfnisse. Im Fall des non-verbalen mehrfach beeinträchtigten jungen Mann werde ich von den Eltern kontaktiert und die Begegnungen sind dann entsprechend unterschiedlich und doch ähnlich sensibel und einfühlsam.

Und dann gibt es natürlich noch alles dazwischen und daneben, von sozialen Phobien zu leicht bis schweren kognitiven oder intellektuellen Beeinträchtigungen, zu körperlichen Beeinträchtigungen, die 24 Stunden Pflege erfordern, von mehr und weniger abhängigen (finanziell, pflegerisch, Mobilität betreffend) Kund*innen.
Egal was es ist, es geht immer um den dringenden Wunsch, die eigene Sexualität mit jemand anderem ausleben zu können.

Nur in ganz wenigen Bundesländern dürfen Sexualbegleiter*innen, die (aus gutem Grund) unter das Prostitutionsgesetz fallen, Hausbesuche und Besuche in Einrichtungen (WGs, Pflegeheime,..) machen. In Wien, Steiermark und Oberösterreich gibt es diesbezüglich keine Einschränkungen, in Niederösterreich und Burgenland dürfen wir in private Wohnbereiche der Kund*innen (sofern gewisse "Schutzzonen" eingehalten werden (Radius von 200-250 Meter um Kirchen, Kasernen, Kindergärten, etc.)), aber nicht in Pflegeeinrichtungen. In allen anderen Bundesländern ist die Ausübung von Sexarbeit ausschließlich in Prostitutionslokalen (Bordelle, Laufhäuser) erlaubt.

Wenn man die Möglichkeit hat, ins (hoffentlich barrierefreie) Bordell zu gehen und dort eine Sexarbeiterin findet, die einem ein schönes Erlebnis bescheren kann, dann ist das toll. Der Lehrgang zur Sexualbegleiterin vermitelt „Werkzeuge" und Grundkenntnisse in der Arbeit mit beeinträchtigten Menschen, aber auch viele Sexarbeiter*innen im Bordell ohne diesen Lehrgang haben das nötige Grundverständnis und die erforderliche Empathie, um diese Zielgruppe zu bedienen.

Ich empfehle für Eltern oder Betreuer*innen, dass man bei Bedarf vorher mit den dort arbeitenden Menschen spricht, um eigene Unsicherheiten oder Vorurteile abzubauen, um gegebenenfalls die Rahmenbedingungen zu klären und wichtige Informationen auszutauschen - gibt es Dinge, auf die man besonders achten muss, gibt es Trigger (ein Kunde von mir mag absolut nicht, wenn man ihm auf den Kopf greift), ist der/die Kund*in Epileptiker*in oder hat Spastiken, die zu Verletzungen führen können.

Das Problem ist eher, dass viele meiner Kund*innen gar nicht die Möglichkeit haben, ins Bordell zu kommen bzw. es einfach viel mehr Hürden zu bewältigen gibt (Vorgespräche sind sinnvoll, das Bordell sollte barrierefrei sein, je nach Mobilität ist man darauf angewiesen, hingeführt zu werden, etc etc).

In den eigenen vier Wänden fühlt man sich oft wohler, weniger unter Druck gesetzt oder gestresst, was einem schönen sexuellen Erlebnis natürlich zuträglich ist. Und auch den Menschen im Umkreis (Eltern, Betreuer*innen, Freund*innen) gibt ein Hausbesuch vielleicht mehr „inneren Frieden" als ein Besuch im Bordell, wo man mit anderen Kunden konfrontiert ist und nicht weiß, ob alles da ist, was vielleicht gebraucht wird.

Darum wünsche ich mir, dass die Gesetzgebung in Österreich vereinheitlicht wird, dass sexuelle Dienstleistungen in jedem Bundesland auch in den eigenen vier Wänden der Kund*innen in Anspruch genommen werden dürfen. In meiner Funktion bei der Berufsvertretung Sexarbeit Österreich (BSÖ) haben wir schon Anfragen an einige Landesregierungen gestellt, die bis jetzt leider zu keiner Veränderung geführt haben.

Weiters wünsche ich mir, dass auch die sexuellen Bedürfnisse von Frauen mit Beeinträchtigung mehr thematisiert werden. Das Thema wird oft bei Männern aufgegriffen, weil sie sichtbare Erektionen haben aber auch weil sie, meist aufgrund von Sozialisation, eher ihre sexuellen Wünsche zum Ausdruck bringen. Weibliche Sexualität ist generell tabuisierter und stigmatisierter in unserer Gesellschaft und wird leider viel oft totgeschwiegen.

Es gibt noch viel zu tun. Die Möglichkeit der Sexualbegleitung ist ein guter Schritt in die richtige Richtung, um Menschen mit Beeinträchtigung den Zugang zu gemeinsamer Sexualität zu erleichtern. Im besten Fall ebnet Sexualbegleitung den Weg zu Beziehungen außerhalb einer bezahlten Dienstleistung, da sie auch Selbstbewusstsein stärken soll, das eigene Körperbewusstsein verbessern kann, den Umgang in zwischenmenschlichen körperlichen Beziehungen erleichtern soll und auch spielerisch helfen soll, eigene Grenzen zu definieren und die Grenzen anderer zu erkennen und akzeptieren.

Sexualbegleitung führt im besten Fall neben dem offensichtlichen Ziel der sexuellen Befriedigung also auch zu mehr Zufriedenheit im Leben, zu einem offeneren Zugang zu sich selbst und anderen und somit hoffentlich zu einer generellen Verbesserung der eigenen Lebensrealität. Und die Möglichkeit, das zu erreichen, sollte niemandem verwehrt werden, nur weil er/sie im falschen Bundesland wohnt..

(Zusatz: ich schreibe „Kunden" meist nur in der männlichen Form, da ich, abgesehen von einer unverbindlichen Anfrage einer Frau, bis jetzt ausschließlich männliche Kunden hatte.)

 

Sexualbegleitung in Wien:     www.sexistenziell.at

Eine Liste von Sexualbegleiter*innen gibt es auf der Seite https://www.berufsvertretung-sexarbeit.at/sexualbegleiter/innen

 

Der Beitrag stellt die Meinung der Autorin dar und wurde von ihr erstellt und genehmigt

 

 

 

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